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Theodor Storm

"Es ist nur ein schmuckloses Städtchen, meine Vaterstadt; sie liegt in einer baumlosen Küstenebene und ihre Häuser sind alt und finster. Dennoch habe ich sie immer für einen angenehmen Ort gehalten." 

(Storm am Anfang seiner Novelle "In St. Jürgen")

 

Theodor Storm ist ein echter "Husumer Jung". Er wurde am 14. September 1817 in Husum geboren. Sein Gedicht "Die Stadt" hat Husum bis heute als "Graue Stadt am Meer" bekannt gemacht. Viele Erzählungen Storms spielen in und um Husum.

Bewegen Sie sich auf den Spuren des Dichters Theodor Storm. Erfahren Sie etwas über seine Novellen, Biografie und seine Heimatstadt Husum. Das Theodor-Storm-Haus ist ein Literaturmuseum für den Dichter und Schriftsteller Theodor Storm, der hier von 1866 bis 1880 lebte.

Die Theodor Storm Gesellschaft will durch Museum und Archiv, durch Sonderausstellungen, Veranstaltungen und Veröffentlichungen ein zeitgemäßes Bild des Dichters Theodor Storm vermitteln und sein literarisches Werk lebendig halten.

Die Stadt

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn` Unterlaß;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.

 
Dieses Gedicht entstand 1851 und wurde 1852 veröffentlicht. 
Text nach Theodor Storm: Sämtliche Werke. Hg. von K. E. Laage und D. Lohmeier.
Frankfurt 1987. Bd. 1. S. 14.

Theodor Storm - ausgesuchte Werke

Theodor Storm_Meeresstrand

Meeresstrand

Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.

Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.

Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen-
So war es immer schon.

Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.

Dieses Gedicht entwarf Theodor Storm vermutlich im Sommer 1853 in Potsdam, in Gedanken in seiner Heimat.Erstveröffentlichung im Jahr 1856 Text nach:Theodor Storm: Gedichte. Hg. von K. E. Laage. Husum:Husum Druck- und Verlagsgesellschaft 1977.

Theodor Storm_Der Schimmelreiter

Der Schimmelreiter

Was ich zu berichten beabsichtige, ist mir vor reichlich einem halben Jahrhundert im Hause meiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator Feddersen, kund geworden, während ich, an ihrem Lehnstuhl sitzend, mich mit dem Lesen eines in blaue Pappe eingebundenen Zeitschriftenheftes beschäftigte; ich vermag mich nicht mehr zu entsinnen, ob von den "Leipziger" oder von "Pappes Hamburger Lesefrüchten". Noch fühl' ich es gleich einem Schauer, wie dabei die linde Hand der über tzigjährigen mitunter liebkosend über das Haupthaar ihres Urenkels hinglitt. Sie selbst und jene Zeit sind längst begraben; vergebens auch habe ich seitdem jenen Blättern nachgeforscht, und ich kann daher um so weniger weder die Wahrheit der Tatsachen verbürgen, als, wenn jemand sie bestreiten wollte, dafür aufstehen; nur so viel kann ich versichern, daß ich seit jener Zeit, obgleich sie durch keinen äußern Anlaß in mir aufs neue belebt wurden, niemals aus dem Gedächtnis verloren habe.

*

Es war im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, an einem Oktober-Nachmittag - so begann der damalige Erzähler - , als ich bei starkem Unwetter auf einem nordfriesischen Deich entlang ritt. Zur Linken hatte ich jetzt schon seit über einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh geleerte Marsch, zur rechten, und zwar in unbehaglichster Nähe, das Wattenmeer der Nordsee; zwar sollte man vom Deiche aus auf Halligen und Inseln sehen können; aber ich sah nichts als die gelbgrauen Wellen, die unaufhörlich wie mit Wutgebrüll an den Deich hinaufschlugen und mitunter mich und das Pferd mit schmutzigem Schaum bespritzten; dahinter wüste Dämmerung, die Himmel und Erde nicht unterscheiden ließ; denn auch der halbe Mond, der jetzt in der Höhe stand, war meist von treibendem Wolkendunkel überzogen. Es war eiskalt; meine verklommenen Hände konnten kaum den Zügel halten, und ich verdachte es nicht den Krähen und Möwen, die sich fortwährend krächzend und gackernd vom Sturm ins Land hineintreiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte begonnen, und schon konnte ich nicht mehr mit Sicherheit die Hufen meines Pferdes erkennen; keine Menschenseele war mir begegnet, ich hörte nichts als das Geschrei der Vögel, wenn sie mich oder meine treue Stute fast mit den langen Flügeln streiften, und das Toben von Wind und Wasser. Ich leugne nicht, ich wünschte mich mitunter in sicheres Quartier.

Das Wetter dauerte jetzt den dritten Tag, und ich hatte mich schon über Gebühr von einem mir besonders lieben Verwandten auf seinem Hofe halten lassen, den er in einer der nördlicheren Harden besaß. Heute aber ging es nicht länger, ich hatte Geschäfte in der Stadt, die auch jetzt wohl noch ein paar Stunden weit nach Süden vor mir lag, und trotz aller Überredungskünste des Vetters und seiner lieben Frau, trotz der Schönen selbstgezogenen Perinette- und Grand-Richard-Äpfel, die noch zu probieren waren, am Nachmittag war ich davongeritten. "Wart nur, bis du ans Meer kommst", hatte er noch an seiner Haustür mir nachgerufen; du kehrst doch wieder um; dein Zimmer wird dir vorbehalten!"

Und wirklich, einen Augenblick, als eine schwarze Wolkenschicht es pechfinster um mich machte, und gleichzeitig die heulenden Böen mich samt meiner Stute vom Deich herabzudrängen suchten, fuhr es mir wohl durch den Kopf: "Sei kein Narr! Kehr um und setz dich zu deinen Freunden ins warme Nest." Dann aber fiel`s mir ein, der Weg zurück war wohl noch länger als der nach meinem Reiseziel; und so trabte ich weiter, den Kragen meines Mantels um die Ohren ziehend.

Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen mich heran; ich hörte nichts; aber immer deutlicher, wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ, glaubte ich eine dunkle Gestalt zu erkennen, und bald, da sie näher kam, sah ich es, sie saß auf einem Pferde, einem hochbeinigen hageren Schimmel; ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern, und im Vorbeifliegen sahen mich zwei brennende Augen aus einem bleichen Antlitz an.

Wer war das? Was wollte der?- Und jetzt fiel mir bei, ich hatte keinen Hufschlag vernommen; und Roß und Reiter waren doch hart an mir vorbeigefahren!

Text nach: Theodor Storm.
Der Schimmelreiter. Hg. von K. E. Laage.
Heide:Boyens 1991. ISBN 3-8042-0296-9

Theodor Storm_The Dykemaster

The Dykemaster

What I am about to relate is something I lighted upon a good fifty years ago at the house of my great- grandmother, old Frau Senator Feddersen, as I sat by her armchair reading a magazine bound in a thick blue cover; I can no longer remember whether it was the "Leipzig Journal" or "Pappe's Hamburg Digest". I can still feel the caress of the over-eighty-year-old's gentle hand passing over her great-grandson's hair, and I still shudder with the horror of it. She and that era have long been buried; I have since tried to track down those pages, but in vain, and so I cannot guarantee the truth of the following account, nor could I vouch for the details should anyone wish to dispute them; I can only give my assurance that, although nothing has happened to call them back to mind, since that day I have never forgotten them.

*

It was in the third decade of the present century, on a October afternoon - so began the narrator of that time - when I rode along a North Friesian Dyke in fierce weather. For more than an hour the desolate mash, now cleared of all cattle, had been on my left, and on my right, uncomfortably close, the North Sea tidal flats. The Halligen and the other islands were normally to be seen from the dyke; but I now saw nothing but the yellow-grey waves beating continuosly against the dyke as though bellowing with rage, from time to time spraying dirty spume over my horse and me, and further out, a bleak half- light in which it was impossible to tell earth from sky, for even the half-moon, now at its height, was more often than not hidden behind swirling dark clouds. It was icy cold; my frozen hands could hardly hold the reins, and I had every sympathy with the crows and gulls which, constantly cawing and cackling, were being driven inland by the storm. Dusk had begun to fall, and I could no longer make out my horse's hooves with certainty; I had not met a living soul, and heard nothing but the shrieking of birds as they almost brushed me and my trusty mare with their long wings, and the wild raging of the wind and the water. I do not deny that from time to time I longed for a safe haven.

The storm was now into its third day, and a particularly well-loved relative of mine had already kept me back too long on his farm in one of the northern parishes. Today I could delay no longer; I had business to attend to in town, which even now was still a good few hours to the south, and so, despite all the persuasive arts of my cousin and his wife, despite the farm's fine home-grown Perinette and Grand Richard apples waiting to be tasted, I had set off that afternoon. "Just wait till you get to the sea," my cousin had called after me from the door of his house, "you'll be sure to turn back, we'll keep your room ready for you!"

And indeed, at the moment when a swathe of black cloud cast everything around me into pitch-darkness and howling squalls threatened to drive me and my mare off the dyke, the thought did cross my mind: "Don't be a fool! Turn round and go back to the warmth and comfort of your relatives' home." Then it occured to me that the way back was probably further than the way forward to my destination; and so I trotted on, pulling my cloak collar up around my ears.

Something now came towards me along the dyke; I heard nothing; but when the half-moon cast its thin light I thought I made out a dark figure, and soon, as it came nearer, I saw it, it was riding a horse, a long-legged, lean grey; a dark cloak fluttered about the figure's shoulders, and as it sped past, a pair of burning eyes looked at me from a pallid face. Who was he? What did he want? - It then occured to me, I had heard no hoofbeats, no horse's panting; and horse and rider had passed close by!..............

from: Theodor Storm: The Dykemaster (Der Schimmelreiter).
Translated with notes by Denis Jackson.
London:Angel Books 1996. ISBN 0 94616254 9